Der Humangenetiker Wolfram Henn im Tagesthemen-Interview.
Fangen wir mit der größten Schwäche dieses Interviews zum Thema Impfpflicht an: der Hintergrund. Eine Bücherwand, die Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat optisch fast erschlägt. Und das lenkt – leider, leider – etwas von seinen Botschaften ab. Eine weiße Wand wäre mir fast lieber gewesen. Merke: Zu Risiken und Nebenwirkungen virtueller Hintergründe fragen Sie ihre Medientrainerin!
Wir Zuschauer sind ja sehr visuelle Wesen, deshalb sei noch kurz gesagt, dass das graue Hemd für diesen Anlass sehr gut gewählt ist. Und auch die Brille ist TV-geeignet, denn sie gibt den Blick auf beide Augen frei und spiegelt kaum.
Wolfram Henn spricht sich für grundsätzlich freiwillige Impfungen aus. Zugleich will er Menschen mit besonderer Verantwortung für andere aber stärker in die (Impf-)Pflicht nehmen, z.B. Kita-Mitarbeitende. Dieses Gespräch für mich in vielerlei Hinsicht Best-Practice. Warum?
- Gleich in der ersten Antwort bringt Henn zwei gegenläufige Beispiele, die das momentane Impf-Dilemma aufzeigen. Aus seiner Praxis nennt er das Beispiel einer Krebspatientin, die nicht geimpft werden kann, deren Kinder aber täglich aus der Kita das Virus nach Hause tragen könnten. Als Gegenbeispiel zitiert er aus der E-Mail einer Kita-Leiterin, die die Pandemie leugnet und sich folgerichtig auch nicht impfen lassen will. Diese Beispiele sind wichtig für Henns Argumentation. Und zugleich sind sie aus dem Leben gegriffen, anschaulich. Sie zeigen, dass Henn auf Augenhöhe mit den Zuschauenden ist und nicht aus dem Elfenbeinturm der Humangenetik heraus argumentiert. Nicht zuletzt sind diese beiden Beispiele eine Art Versprechen – im Sinne von: „Bei mir wird es nicht anstrengend, ich kann meine Themen für jedermann erklären und rüberbringen.“ Später im Interview kommt dann noch ein weiteres Beispiel. Super gemacht!
- Henn redet Klartext. Impfverweigerer, wie die Kita-Leiterin seien „gemeingefährlich“ und „renitent“, es gehe nicht darum, Menschen mit der Impfpflicht zu „piesacken“ oder per „Schikane“ zum Impfen zu bewegen. Er wolle „keine Impfpflicht durch die Hintertür“ (übrigens eine tolle Schlagzeile, in dieser Klarheit!). Die Erfahrung zeigt, dass sich nur wenige Expert*innen im Interview zu so klaren Botschaften durchringen. Ja, solche Worte polarisieren. Und zugleich wecken sie auch auf. Was am späteren Abend nach 22 Uhr ja auch hilfreich sein kann. Generell spricht Henn eine sehr klare, allgemeinverständliche Sprache. Das macht es leicht, seinen Argumenten zu folgen – unabhängig davon, ob man sie nun teilt oder nicht.
- Wolfram Henn hat Mut zu Ich-Botschaften. Schon die Beispiele aus Punkt 1. sind ja aus seiner Praxis eingebracht. Er geht aber noch einen Schritt weiter: Später im Interview formuliert er mit Blick auf die richtige Impf-Motivations-Strategie: „Ich hoffe, ja dass ich Unrecht behalte, und wir auch ohne Impfpflicht dieser spezifischen Berufsgruppen eine vollständige Durchimpfung bekommen. Ich bin nur leider skeptisch, dass wir das erreichen werden.“ Das heißt, der Experte bleibt nicht nur auf der abstrakten Sachebene. Er verknüpft sich selbst mit der Botschaft und stellt sich stark dahinter. Für das „ich“ in Interviews braucht es oft etwas Mut, aber für die Zuschauenden wird es dadurch sehr viel leichter zu folgen. Der Interviewte wirkt dadurch auch nahbarer. Das gilt für Henn in besonderer Weise, weil er sich ja quasi wünscht, dass seine Prognose nicht eintritt.
Fazit: Beispiele, anschauliche Sprache und Ich-Botschaften sind wichtige Zutaten guter Kommunikation. Diese in einem Experten-Interview zu hören, war eine positive Überraschung!
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