Vor den TV-Debatten

Was Kanzler- und Spitzenkandidaten jetzt tun – und wie sie Fehler vermeiden

TV-Duelle sind die Königsdisziplin im Wahlkampf – und ein Minenfeld. Wie bereiten sich die Kanzlerkandidaten und die -kandidatin jetzt vor? Worauf achten sie bei ihrer Inszenierung? Was kann ihre Kampagne gefährden?

Ingo Bosch und Katrin Prüfig, beide im Vorstand des „Bundesverband für Medientraining in Deutschland e.V.“ (BMTD), geben Einblicke in die Kunst der souveränen Debatte, von Körpersprache bis Krisenmanagement. Sie erklären, warum nur eine gute Vor- und Nachbereitung für die erhoffte Resonanz sorgt. Zudem verraten sie, wie der Verband die Debatten begleitet.

Die Fragen stellt Sven Matis, zertifizierter Medientrainer.

Gehen wir gleich einmal „in die Vollen“: Was gehört zum Schlimmsten, was in einer Live-Sendung wie dem TV-Duell passieren kann?

Bosch: Ein Schwächeanfall. Wenn ein mächtiger Mensch zusammensackt – passt das nicht. Der Job wird dem Kanzlerkandidaten dann nicht zugetraut. Und jeder erkennt es – unabhängig vom Bildungsgrad. Joe Biden ist ein Beispiel: in leichter Form beim TV-Duell gegen Trump. Zuvor war er auch schon vom Fahrrad gestürzt und auf einer Bühne gestolpert. Diese Bilder gingen digital um die Welt.

Prüfig: In den Sendungen mit Live-Publikum wird es spannend, wenn Zuschauende emotional werden. Stell‘ Dir eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern vor, die Friedrich Merz oder Olaf Scholz wegen der drohenden Kürzung des Bürgergeldes angeht und dann in Tränen ausbricht. Wie geht jemand wie Merz damit um? Wie empathisch reagiert er? Das beeinflusst die Stimmung auf alle Fälle und wirkt sich damit auch auf den Wahlausgang aus.

Wir reden hier über Profis. Sie wissen, was es heißt, vor der Kamera zu stehen. Brauchen die überhaupt noch eine Vorbereitung, ein Training gar?

Prüfig: Das stimmt, sie sind die Anwesenheit von Kameras gewöhnt, verbunden mit dem Gefühl, dauernd wie unter dem Mikroskop beobachtet zu werden. Und sie sind auch konfrontative Fragen gewöhnt und können damit umgehen. Wie sieht es aber aus mit einer Frage wie sie Armin Laschet von Kindern auf Pro7 gestellt wurde. „Wie würdest Du heißen, wenn Du ein Drache wärst?“ Darauf hat Laschet sehr pampig und unsouverän reagiert, das hat Sympathiepunkte gekostet. Also: Der Umgang mit unerwarteten, zum Teil persönlichen Fragen, den trainiert man besser.

Bosch: Sehe ich genauso: Die Kandidaten sollten sich zwei bis drei Botschaften tief verankern, auf die sie bei unerwarteten Fragen lenken. Dabei spielt dann nicht nur das „Was“ sondern auch das „Wie“ eine Rolle. Inhalt, Körpersprache und Sprechweise müssen Hand in Hand gehen.

Das müssen wir uns genauer anschauen. Einerseits soll es authentisch sein, anderseits eingeübt?

Prüfig: Das ist genau das Spannungsfeld, in dem wir uns als Medientrainerinnen und Medientrainer immer bewegen: Vorbereitet sein – ja! Schwere Fragen trainieren – ja! Gute Botschaften verankern – unbedingt! Zugleich darf es bei all der Vorbereitung dann nicht so wirken, als spule ein Kandidat seine Inhalte nur ab, als habe er sie auswendig gelernt. Das war übrigens ein Problem des SPD-Politikers Martin Schulz. Er „schrumpfte“ im Wahlkampf immer mehr zu einer Figur, die Botschaften nur noch reproduzierte. Dafür haben die Zuschauenden sehr feine Antennen: Wann kommt etwas „aus der Konserve“, wann wirkt es engagiert, frisch, mit der richtigen Haltung dahinter?

Bosch: Ich führe Trainingsteilnehmende zu IHREN EIGENEN Antworten. Denn was schon in deren Kopf verankert ist, muss nicht auswendig gelernt werden. Deshalb sind auch persönliche Erlebnisse wichtig. Das Erzählen persönlicher Erlebnisse verbessert fast immer Blickverhalten, Mimik, Gestik, Körperspannung und Sprechweise.

Wenn die Debatten auf Streit und Zoff programmiert sind: Wie können Kandidaten souverän bleiben und die Kontrolle behalten?

Bosch: In dem sie sich top vorbereiten. Inhalte, Kritik und mögliche Fragen: 95 Prozent davon sind vorhersehbar. Das ist die Basis, um entspannt und flexibel antworten zu können – Spontanität muss geplant werden. Zudem auch Punkte wie „Wo findet das Ganze statt – wo stehen TV-Leuchten, wo die anderen Kandidaten?“

Prüfig: Wichtig ist zu verstehen: Zoff hilft der Quote. Es ist ja ohnehin ein Schaukampf, der da läuft. Die Moderator:innen müssen kritisch fragen, auch Emotionen aus dem Publikum können aufkommen. Und wenn ich als Kandidat:in damit gelassen-engagiert-sympathisch umgehe, nützt er mir eher als dass es schadet. Spannend sind die Attacken von Seiten der anderen Kandidat:innen. Sich da entschieden abzugrenzen und trotzdem gelassen-engagiert-sympathisch rüberzukommen, ist schon eine Herausforderung.

Wie wichtig sind TV-Duelle heute noch, wo Parteien ihr Publikum über soziale Medien gezielt ansprechen können?

Bosch: TV-Formate der bekanntesten öffentlich-rechtlichen und auch privaten TV-Sender genießen nach wie vor eine hohe Glaubwürdigkeit. Die TV-Duelle sind jedoch auch wichtig, weil Ausrutscher gerne von den Gegnern auf Social Media verbreitet werden. Und direkt danach Meinungsbildner ihre Wahrnehmung mitteilen, wer besser war – wer gewonnen hat. Viele „normale“ Menschen lassen sich davon beeinflussen – und wirken auf Social Media als weitere Multiplikatoren.

Prüfig: Social Media ist wichtig, aber nicht alles. CDU/CSU und weite Teile der SPD erreichen ihre Wähler aufgrund der Altersstruktur so nicht ideal. Hinzu kommt: Social-Media-Kanäle sind im Wesentlichen „owned“ media, also die Partei entscheidet, was veröffentlicht wird. ARD, ZDF, die Privaten – das sind Kanäle, auf die der Begriff „earned“ zutrifft. Wenn ich mich hier gut schlage, habe ich mir diese Reichweite hinzuverdient und im besten Fall einen positiven Akzent gesetzt.  

Dann jetzt nochmal zum Mitschreiben: Welche Fehler dürfen Kandidaten in TV-Diskussionen auf keinen Fall machen?

Bosch: Zu vermeiden sind zum Beispiel körpersprachliche Signale, die von den Zuschauern als Nervosität oder Unsicherheit dekodiert werden. Häufig sind das Finger, die aneinander gerieben werden, ein nervös wippender Fuß oder Gesichtszüge die sprichwörtlich entgleiten.

Prüfig: Zwei Beispiele aus der Vergangenheit: Stoiber stolperte bei Christiansen. Er ließ sich in Fachsimpeleien hineinziehen, bei denen der normale Sonntagabend-Zuschauer schnell den Faden und die Geduld verlor. Später hieß es: Die Sätze sprudelten aus ihm heraus, als habe er Wortwasser getrunken – ohne Punkt und Komma. Andererseits fielen ihm zentrale Begriffe und Namen nicht ein.

Auch nicht gut: Armin Laschet wurde im Kinderinterview mehrfach pampig und ungeduldig, weil er mit dem Format nicht vertraut war und eventuell vermutete, er werde reingelegt.

Man muss also das Spielfeld und die Regeln genau kennen. Wie wirken sich Vorgaben wie Zeitlimits oder Kameraperspektiven auf den Verlauf der Diskussion aus?

Prüfig: Mit Kameraperspektiven kann ein Regisseur grundsätzlich auch „Politik machen“, also einen Kandidaten sympathisch oder weniger sympathisch ins Bild setzen. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass das im Februar passiert. Das würde sofort zum Thema werden. Ebenso wenn ein Kandidat, eine Kandidatin nicht gut ausgeleuchtet wäre.

Spannend sind die Zeitlimits für die Redeanteile. Sie zwingen dazu, in aller Kürze auf den Punkt zu kommen. Längliche, detaillierte Ausführungen wie noch beim Kandidaten Edmund Stoiber sind hier nicht möglich. In den USA im Duell Kennedy Nixon hatten beide noch eine Redezeit von 8 Minuten – AM STÜCK! Da müssen die Botschaften-Häppchen heute schon deutlich kompakter sein. Und auch das will trainiert werden!n einem seriösen Politikerinnen-Interview am Tag 2 nach Magdeburg nicht verlangen.